Spießer

2020-05-24

OMG – Sind wir Spießer geworden?

…Definiere Spießer!

Also…

• der Mann geht arbeiten          
• die Frau bleibt mit der Kleinfamilie zu Hause    
• Vorstadt Eigenheim     
• soziale Kontakte im häuslichen Umfeld statt in Kunst und Kultur  

Oh je, das klingt langweilig…. Re-definiere Spießer!

• Der Mann hat einen Job!!!     
• Die Frau kann machen was sie will!      
• Wir bauen ein Nest!    
• Trotz Pandemie können wir Zeit mit Freunden verbringen!   

Das klingt viel besser! Diese Woche definiert den Anfang unseres Spießertums. Ivan bereichert jetzt SA Power Networks, sozusagen die südaustralischen Elektrizitätswerke, als Scrum Master. Nach nur drei Monaten im Land hat er, mitten in sehr schwierigen Zeiten, einen guten Job gefunden. Ich bin so unglaublich stolz auf ihn! Und es kommt noch besser: die Firma ermutigt alle Angestellten, lieber aus dem Home Office zu arbeiten statt ins Büro zu kommen. Am ersten Tag jedoch ist es schön, von ein paar KollegInnen in Empfang genommen zu werden. Und am dritten Tag lohnt es sich noch einmal in die Stadt zu fahren um den Ausweis abzuholen.

Wie kommt man jedoch am besten in die Stadt? Mit dem Zug! Von Seaford nach Keswick sind es etwa 40 Minuten, plus 20 Minuten von der Haustür in Aldinga bis zum Bahnsteig in Seaford. Ich stehe also an Bürotagen früh mit auf, fahre den Husband zum Bahnhof und habe denn den Tag und das Auto für mich. An Homeoffice Tagen hingegen schleiche ich auf Zehenspitzen durchs Haus und vermeide die Klospülung, weil es dann in seinem Büro rauscht wie an den Niagarafällen. Es wird Zeit dass der Schuppen zum Büro umgebaut wird… Wir sind schon dabei: Die Elektrik ist gelegt, die Angebote für den Innenausbau werden erstellt. Die Kostenvoranschläge sind horrend.

Ich lerne jetzt Hausfrau. Das ist gar nicht so einfach. Nach Jahrzehnten in Büros mit komplexen Abstimmungsprozessen darf ich plötzlich einfache und sinnvolle Entscheidungen selbst treffen. Ein grandioses Konzept! Sehr ergebnisorientiert. Solange abends ein warmes Essen auf dem Tisch steht, ist der Familienfrieden gesichert. Egal ob ich tagsüber Kartons ausgepackt habe, Zimmer umräume, Krankenkasse kündige, Steuern erkläre, am Strand spaziere oder ein gutes Buch lese… Meine Entscheidung, meine Verantwortung, mein Tag. Yeah!

So war es bis gestern. Dann startete Nestbau Phase II:

Er heißt Skipper und ist ein Border Collie. Dieses acht Wochen alte Bündel Fellfreude wird ab jetzt all meine Energie und Zeit aufsaugen.

Australien ist von Corona nicht verschont geblieben. Doch im Vergleich zu anderen Ländern ist die Pandemie hier sehr verantwortungsvoll gemanagt worden und einigermaßen glimpflich verlaufen. Wir haben uns an die Beschränkungen gehalten. Für uns war es leicht. Wir durften weiterhin am Strand spazieren gehen, wir haben mit Lorena und Pino in einer Hausgemeinschaft gewohnt und hatten sozialen Austausch (plus grandioses Essen!). Wir haben mit Freunden in aller Welt digital kommuniziert. Und wir hatten in unserer Nachbarschaft alles was wir brauchten. Außer Klopapier natürlich, das mussten wir jagen wie alle anderen auch. Trotz Ausgangssperre durften wir in unser neues Haus ziehen, renovieren und uns einrichten. Der Container aus Deutschland kam und wir durften Wiedersehen mit unserer alten Welt feiern. Und dennoch haben wir den persönlichen Kontakt mit Freunden und Familie vermisst. So war es wunderbar letztes Wochenende Cousin Nick und Deb hier zu begrüßen. Und jetzt war endlich die alte Gang zusammen: Lorena, Pino, Paola, Claudio und wir. So viel Spaß, so viel Blödsinn, so viel Leben, so viel Liebe. Wir sind so dankbar für social contact statt social distancing. Wir genießen ein bisschen von dem, was wir früher für „normal und langweilig“ gehalten haben.

Ja, wir sind Spießer – und stolz darauf!